Bevor ein Implantat, also fest verankerter Zahnersatz, eingesetzt werden kann, gibt es vorbereitende Maßnahmen für den Eingriff des Implantologen. Bei der Distraktionsosteogenese oder Kallusdistraktion handelt es sich um ein operatives Verfahren aus der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Was es genau mit diesem Eingriff auf sich hat, wie er abläuft und welche Risiken bestehen, können Sie hier nachlesen.

Übersicht dieses Artikels

Was versteht man in der Oralchirurgie unter Kallusdistraktion/Distraktionsosteogenese?

Die wörtliche Übersetzung des Begriffs Distraktionsosteogenese (auch Kallusdistraktion genannt) lautet „Knochenneubildung durch Auseinanderziehen“. Bei diesem Verfahren macht sich der Kieferchirurg das Prinzip zunutze, das auch bei der Heilung nach Knochenbrüchen zum Tragen kommt: Der Bruchspalt wird vom Körper selbstständig wieder mit Knochensubstanz gefüllt und die Knochenbruchstücke wachsen im Verlauf mehrerer Wochen wieder zusammen. Bei der Distraktionsosteogenese wird also operativ ein Knochenspalt erzeugt, um anschließend eine Verlängerung des Knochens zu erzielen. Und das geschieht folgendermaßen: Überall im menschlichen Körper befinden sich die sogenannten Osteoblasten, das heißt Zellen, die auf die Produktion von Knochensubstanz spezialisiert sind. Sie bilden zunächst Kallus aus – Knochengewebe, das innerhalb einiger Wochen in mineralisierten Knochen umgewandelt wird. Nur der mineralisierte Knochen ist auf Röntgenbildern sichtbar, Kallus hingegen nicht.

Wann und warum ist eine Distraktionsosteogenese erforderlich?

Die Kallusdistraktion kommt in der zahnärztlichen Implantologie zur Anwendung – insbesondere dann, wenn nicht ausreichend Alveolarknochen vorhanden ist. Der Alveolarknochen ist der Bereich im Kiefer, in dem ursprünglich die Zahnwurzeln verankert waren. Er liegt auf der Kieferbasis auf und muss ausreichend stark und robust sein, um ein Implantat dauerhaft halten zu können. Die Distraktionsosteogenese wird durchgeführt, um eben jenen Knochenanteil, der ehemals einen Zahn getragen hat, zu erhöhen. Erst dann kann der Zahnarzt oder Kieferchirurg die Implantate setzen.

Was spricht gegen eine Distraktionsosteogenese?

Ist die Mundhygiene stark eingeschränkt (etwa aufgrund hohen Alters) und lässt sie sich nicht verbessern, ist eine Distraktionsosteogenese nicht empfehlenswert, da in diesem Fall ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Auch dann, wenn absehbar ist, dass der Patient die notwendigen Verhaltensregeln nicht einhält (etwa bei Nikotin- oder Alkoholsucht), führen die meisten Ärzte keine Kallusdistraktion durch. Gleiches gilt bei:

  • schlecht eingestelltem Diabetes
  • schlechter Immunabwehr
  • gleichzeitiger Einnahme von Immunsuppressiva
  • gleichzeitiger Strahlentherapie

Wie läuft die Distraktionsosteogenese ab?

Die Distraktionsosteogenese läuft in mehreren Phasen ab, wobei zwei operative Eingriffe erforderlich sind. Beide Eingriffe finden unter örtlicher Betäubung statt. Während der ersten Operation durchtrennt der Chirurg zunächst die Mundschleimhaut, dann den Kieferknochen und schneidet – falls erforderlich – ein Knochenstück heraus, um einen Knochenspalt zu erzeugen. Dieser Vorgang wird als Osteotomie bezeichnet. Anschließend fixiert er mittels Schrauben oder Spezialpins einen Distraktor, das heißt eine Apparatur, mit deren Hilfe er im Verlauf der nächsten Wochen einen kontrollierten Zug auf die Kieferknochen ausüben kann. Danach wird die Wunde vernäht.

Es folgt eine Ruhephase von fünf bis sieben Tagen, um dem Körper ausreichend Zeit zur Wundheilung zu geben. Erst dann wird der Distraktor aktiviert. Die dazu erforderliche Stellschraube ragt aus der Mundschleimhaut heraus. Durch Drehen an der Schraube kann der Chirurg die Bruchflächen pro Tag um 0,8 bis 1 mm voneinander entfernen. Die Einstellung des Distraktors muss gut austariert sein, denn: Wird der Abstand zu groß gewählt, können die Osteoblasten nicht ausreichend Knochensubstanz nachbilden. Ist der Abstand zu klein, findet eine vorzeitige Verknöcherung statt. Die Bruchstücke werden so lange auseinandergezogen, bis der Alveolarknochen die gewünschte Höhe erreicht hat.

An die Stellphase schließt sich eine weitere Ruhephase von zehn bis zwölf Wochen an. Diese ist erforderlich, um den erreichten Zustand zu stabilisieren. Zur Kontrolle wird ein Röntgenbild angefertigt, anschließend erfolgt – wiederum unter lokaler Betäubung – die Entfernung des Distraktors. Etwa zwei Wochen später kann der Zahnarzt/Kieferchirurg die Implantate setzen.

Das richtige Verhalten nach der OP

Nach der Operation sollten Sie sich schonen und nur weiche Nahrung zu sich nehmen – vor allem nach dem ersten Eingriff. Nach dem zweiten Eingriff müssen Sie nur für einige Tage auf feste Nahrung verzichten. Außerdem ist eine sorgfältige Mundhygiene unerlässlich. Ihr Arzt wird Sie darüber aufklären wie Sie Zähne und Zahnfleisch nach der Kallusdistraktion optimal reinigen und pflegen können. Meist kommen desinfizierende Spülungen zum Einsatz, da das Operationsgebiet durch eine Zahnbürste gereizt werden könnte. Alkohol und koffeinhaltige Getränke sind nach dem Eingriff ebenso tabu wie Sport, denn sonst drohen Nachblutungen.

Welche Risiken bestehen?

Wie bei jedem operativen Eingriff kann es auch bei der Kallusdistraktion zu Infektionen kommen. Außerdem ist zeitweise mit Schmerzen zu rechnen, die jedoch mithilfe von Schmerzmitteln gut gelindert werden können. Weitere mögliche Risiken sind:

  • Nervenirritationen
  • Weichteilirritaionen
  • Wundheilungsstörungen

Fazit: Der Eingriff hat sich bewährt

Die Distraktionsosteogenese nimmt in der Gesichtschirurgie, genauer gesagt in der Zahnmedizin, einen festen Platz ein. Selbst dann, wenn sich der Kieferknochen stark zurückgebildet hat, ermöglicht der Eingriff die stabile Verankerung von notwendigen Implantaten. Das Verfahren gilt als sehr sicher – Patienten müssen jedoch geduldig sein, denn der gesamte Vorgang nimmt mehrere Monate in Anspruch.